Candyflossophy: Glitterama – Let me Tellier a brief History of Whoaahh von @Candyfloss

Möchtet ihr lieber 900 oder 300 Franken? Bar auf die Hand? An alle, die sich gerade für die 300 entschieden haben: Halt! Diese Zeilen keinesfalls weiterlesen, es wäre eine reine Zeitverschwendung. Gehört ihr nämlich zur 300-Franken-Fraktion, dann seid ihr der komplett haltlosen Behauptung anheimgefallen, dass weniger mehr sei. Dann glaubt ihr, dass eine einfache Piano-Melodie nicht aufgewertet würde durch ein Orchester, ein Orchester mit Streichern, wohlgemerkt. Ja, dann seid ihr der festen Überzeugung, «nude» sei eine Art, sich zu schminken.

Nude! Dieses Konzept will sich mir nicht erschliessen. Man verbringt also anderthalb Stunden im Bad, um danach «natürlich» auszusehen? Schminken wir uns denn nicht alle, um das Beste aus uns rauszuholen? Wollen wir nicht alle leuchten, funkeln, schimmern, schillern, glimmern, ja – glitzern? Whoaahh, Glitzer!!! Der Sternenstaub aus einer besseren Welt. Echt wahr! Nicht umsonst kommt «Kosmetik» von «Kosmos» und Glitzer, ja, Whoaahh-Glitzer ist das Geschenk des Alls. Oder woher kommt Glitzer sonst? Muss man dafür Harald Glööckler durch den Fleischwolf jagen und wenn ja, woher hat der Glööckler den Glitzer? Musste Glitzer erfunden werden? War der nicht «schon immer da», wie die Ozeane und Tannennadeln und Eicheln und all das Zeug, das im Wald auf dem Boden herumliegt?

Wie so oft liefert die Göttin der Schminkpinsel, Lisa Eldridge, die Antwort, so ganz nebenbei, in einem ihrer Make-up-Tutorials. Laut Lisa wurde Glitzer 1934 geboren, durch reinen Zufall: Henry Ruschmann werkelte damals auf der Farm seiner Eltern in New Jersey an einer Maschine herum, die für das Zerschneiden von Plastikstreifen gedacht war. Heraus kamen winzige Plastikpartikel, die das Licht reflektierten, heute auch unter «whoaahh, Glitzer!!!» bekannt. Ruschmann gründete darauf die Firma «Meadowbrook Inventions», noch heute auf seiner elterlichen Farm in New Jersey ansässig und noch immer verantwortlich für fast jedes Glitzerpartikel, dem wir begegnen. Ob in Lidschatten, Nagel- oder Autolacken – der Glitzer kommt von Henrys Familienfarm. Sinnigerweise lautet der Slogan der Firma: «Our Glitter covers the World».

Geradezu berauschend eingesetzt wurde Henrys Glitzer im Januar bei der «Chanel Spring-Summer 2014 Haute Couture»-Show in Paris. (Das Video dazu hab ich, mais bien sûr, auf blaaablaaa.com entdeckt). King Karl glaubt definitiv nicht, dass weniger mehr ist und lässt die Models in funkelnden Turnschuhen, schimmernden Stoffen und – besonders entrückt-entzückend und mich persönlich besonders beglückend – mit whoaahh, Glitzer am unteren Lidrand über den Laufsteg schweben. Auch ist Lagerfeld die Wirkung melancholisch-opulenter Orchester-Musik bewusst: Seine Präsentation, die sich wie üblich, aber für mich noch nie so sehr wie diesmal, wie ein Gesamtkunstwerk anfühlt, lässt er grandios durch Sébastien Tellier untermalen. Telliers Musik trägt entscheidend dazu bei, dass die Models wie ätherische Eisprinzessinnen wirken, welche jedoch düstere Geheimnisse aus einer anderen Welt mit sich tragen. Kurzum: Tellier gibt der Show Tiefe und Pathos, ohne das Ganze je in einen Art-on-Ice-Gruselkabinett-Kitsch kippen zu lassen.

Als ich mir danach das offizielle Video von «L’amour naissant», Telliers erstem und für mich herausragendstem Song aus der Chanel-Show, anschaue, glaube ich endgültig an Glitzerfeen from Space: Die Hauptrolle darin spielt – whoaahh-fucking-whoaahh – Clément Chabernaud! Sch-aber-no schaurig klein, die Welt. Diesmal übrigens im Gewand eines Priesters. Und für meine Gedanken bei diesem Anblick, muss ich gleich los und an die 900 Rosenkränze beten.

Yours truly,
@Candyfloss

Alle Candyphlossophy-Beiträge gibt’s unter www.blaaablaaa.com/tag/candyflossophy

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